Champions League

"Platz 2 ist kein Zustand"

München - Wirkliche Erklärungen hatte beim Bankett des FC Bayern im Münchner Postpalast noch keiner parat, es sind bisher Zustandsbeschreibungen. Und zwar solche, die schmerzen.


"Wir sitzen heute mit leeren Händen da, das stimmt mich traurig", sagte Karl-Heinz Rummenigge in seiner obligatorischen Ansprache mitten hinein in die allgemeine Trauer (XL-Galerie: Bankettrede).

"Das tut unglaublich weh!"



Und der FCB-Boss erinnerte sogleich an die letzte leidvolle Erfahrung ähnlichen Ausmaßes, nämlich die ebenso unfassbare Niederlage 1999 in Barcelona gegen Manchester United: "Das war damals auch unglaublich brutal. Aber ich habe das Gefühl, das heute ist noch bitterer, noch brutaler und eigentlich auch überflüssiger. Das tut unglaublich weh!" Er hätte diese Rede so nie führen wollen, aber es sei nun einmal die Wahrheit (FCB erlebt "Alptraum dahoam").

"Das ist keine Niederlage, die man an einem Abend abstreift", erklärte Sportdirektor Christian Nerlinger: "Die wird einen verfolgen, weil es eine historische Chance war. Die Mannschaft und alle Beteiligten sind total niedergeschlagen und frustriert." Thomas Müller, der mit seinem Treffer zum 1:0 der umjubelte Held hätte werden können, schrieb auf seiner Facebook-Seite am Sonntagmorgen: "Ich habe kein Auge zugemacht. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass wir dieses Spiel nicht gewonnen haben. Soooooooooooo bitter!"

"Grausam. Es ist ein Riesenproblem, dass du es nicht fassen kannst. Ich habe keine Erklärung, wieso wir verloren haben", war auch Club-Präsident und FCB-Macher Uli Hoeneß maßlos enttäuscht. "Eigentlich fühlt man sich gar nicht als Verlierer. Chelsea weiß doch jetzt noch nicht, warum sie gewonnen haben."

Die verflixten Mätchbälle



Die Bayern aber wissen, warum sie eben nicht gewonnen haben. Ob Spieler oder Verantwortliche - alle führten selbstkritisch aber auch ungläubig die mangelhafte Chancenverwertung an. Immer wieder war von den "drei Matchbällen" die Rede, die man einfach nicht genutzt hätte. Führung kurz vor Schluss, Elfmeter in der Verlängerung, Führung beim Elfmeterschießen.

Hoeneß war in einer sportlichen Krise Anfang 2011 der Erste, der das "Finale dahoam" als großes Ziel ausgegeben hatte. Eine ganze Saison hatte der FC Bayern dem Titel in der "Königsklasse" untergeordnet. Er hatte den Verlust der Meisterschaft gegen Dortmund irgendwie akzeptiert, er hatte die Klatsche gegen den BVB im Pokal weggesteckt. Alles in der Hoffnung auf die Erfüllung des Traums vom Henkelpott. Es wäre der fünfte Triumph der Vereinsgeschichte im wichtigsten europäischen Wettbewerb gewesen und - viel wichtiger - der erste einer Mannschaft im eigenen Stadion.

"Habe keinen Jens Jeremies gesehen..."



Statt einer rauschenden Party in rot und weiß erlebte ganz München an diesem 19. Mai 2012 sein blaues Wunder. Mit der tragischen Figur Bastian Schweinsteiger, mit einem Pechvogel Arjen Robben, dem Hoeneß Trost spendete. "Wenn er festgelegt ist als Nummer-eins-Schütze, dann schießt er den Elfmeter", so der 60-Jährige zu der Szene in der 95. Minute. Der Niederländer hatte sich wie schon in der Bundesliga gegen Dortmund mutig den Ball geschnappt - erneut ohne Erfolg. "Am liebsten würde ich jetzt eine Woche auf einer unbewohnten Insel verbringen", gestand Robben.

Zu möglichen Konsequenzen aus der bitteren Stunde konnte und wollte Hoeneß sich noch nicht äußern. "Aber man kann nicht sagen, es ist alles in Ordnung, wenn man drei Titel verspielt. Dann hat man gewisse Probleme. Das kann einmal passieren, zweimal, aber dreimal? Vielleicht muss man sich fragen, warum das passiert ist." Und weiter: "Vielleicht haben wir nicht genug Spieler, die so etwas erzwingen wollen. Ich habe keinen Jens Jeremies gesehen, der dem Gegner schon beim Einlaufen in die Waden beißt."

Mit dem Fakt, dass der Rekordmeister nun bereits zum zweiten Mal in Folge am Saisonende ohne Titel dasteht, kann der Präsident am allerwenigsten leben. "Wir haben immer über Leverkusen (2002 drei Mal Zweiter, Anm. d. Red.) gelächelt, jetzt sind wir in einer ähnlichen Situation", bekannte Hoeneß: "Auf die Dauer habe ich keine Lust, Platz 2 zu belegen, das ist kein Zustand, den ich akzeptieren kann."

Schweinsteiger als tragische Figur


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München - Als sich diese tragische Nacht ihrem Ende näherte, hatte 

Bastian Schweinsteiger nicht einmal mehr Augen für seine Sarah. Schweinsteiger, die tragische Figur beim "Drama dahoam" des FC Bayern München, verließ den Postpalast gegen halb vier Uhr morgens durch den einen, seine Freundin durch den anderen Ausgang. Der Nationalspieler wollte nur noch weg, sich irgendwo eingraben. Nichts mehr sehen, nichts mehr hören, nichts mehr fühlen.


Schweinsteiger. Ausgerechnet Bastian Schweinsteiger. Kein Spieler verkörpert das "Mia san mia" dieses Clubs besser als der gebürtige Oberbayer, keiner lebt es intensiver. Als er vor eineinhalb Jahren seine Vertragsverlängerung bekannt gegeben hatte, tat er das wie selbstverständlich vor der Südkurve. Schon damals lag das Versprechen in der Luft: Irgendwann schenke ich euch den Henkelpott! Am Samstagabend, als Schweinsteiger zu seinem Elfmeter antrat, war die Bühne für diesen Moment bereitet. Der "Fußballgott" trat vor seine Fans - und wollte sie, sich, den ganzen Club glücklich machen. Und dann - Innenpfosten. 

"Das wird dauern"

Der 27-Jährige zog sich, den Tränen nahe, sofort das Trikot über den Kopf - er ahnte, was kommen sollte. Als Didier Drogba die Bayern anschließend ins Jammertal (Spielbericht) stürzte, konnte Schweinsteiger nicht mehr an sich halten, die Tränen flossen in Strömen. Er kauerte am Boden, fassungslos schlug er immer wieder die Hände vors Gesicht. Was eben geschehen war - er konnte, er wollte es nicht begreifen. Als Drogba ihn tröstend in den Arm nahm, starrte er ins Nichts. Wie vielen Kollegen fehlten Schweinsteiger die Worte für diese, seine sportliche Tragödie.

Coach Jupp Heynckes sorgte sich vor allem um seinen Chef, der im Halbfinale mit seinem verwandelten Elfmeter noch umjubelter Held gewesen war. "Wenn so ein renommierter Nationalspieler verschießt, muss er es erstmal verkraften. Das wird dauern", sagte er.

Zumal Schweinsteiger eine weitere Chance verstreichen ließ, in die Geschichtsbücher des Vereins als einer seiner Legenden einzugehen. Vor der Partie hatten er und Kapitän Philipp Lahm noch von der "historischen Dimension" dieses Spiels gesprochen. Davon, dass sie erst mit diesem Cup zur "Goldenen Generation" werden könnten. Diese Möglichkeit besteht nun in dieser Saison nur noch bei der Europameisterschaft.

Aufbauarbeit gefragt



Im Trainingslager der Nationalmannschaft in Tourettes/Südfrankreich werden Schweinsteiger und seine sieben Bayern-Kollegen am Freitag von Joachim Löw erwartet. Der Bundestrainer ist insbesondere bei Schweinsteiger als Seelsorger gefragt. "Wir haben keinen Zaubertrank, aber wir werden die Jungs wieder aufbauen. Mit uns können sie ja noch einen Titel gewinnen", sagte Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff am Sonntag.

Lahm aber wollte vom DFB und der EM erstmal nichts wissen. "Daran denke ich noch keine Sekunde, dafür habe ich keinen Kopf", sagte er. Diese Worte hätten von Schweinsteiger sein können.

"Drogba bricht Bayern das Herz"



München - Nach dem dramatischen Erfolg des FC Chelsea im Champions-League-Finale gegen Bayern München (1:1 n.V., 4:3 i.E.) huldigte Europas Presse Chelseas Weltklasse-Stürmer Didier Drogba. "Didi hat's gemacht! Drogba verbannt Chelseas Moskau-Schmerz", titelt die Sun in Anlehnung an das Finale 2008, das Chelsea im Elfmeterschießen gegen Manchester United verloren hatte. Martialischer beschrieb es die italienische Tuttosport: "Drogba ist der ungnädige Henker der Deutschen." "Drogba bricht den Bayern das Herz", ergänzte "La Repubblica".


Doch auch der russische Chelsea-Besitzer Roman Abramowitsch war in den internationalen Schlagzeilen häufig zu finden: "Milliardenfachen Dank! Abramowitsch erfüllt sich seinen Herzenswunsch", schrieb der Daily Mirror. "Abramowitschs Traum wird nach neun Jahren und über 900 Millionen Euro Wirklichkeit", resümierte die spanische Marca.

Für den am Boden zerstörten Gastgeber aus München blieb nur Trauer: "Drama für den FC Bayern. Die Bayern blicken auf die Trümmer des zweiten verlorenen Finalspiels in zwei Jahren. Der Klub ist von seinen Stars verraten worden", urteilte der Corriere della Sera aus Italien - Die Internationalen Pressestimmen im Überblick.

ENGLAND

The Guardian: Drogba verbannt Chelseas Moskau-Schmerz. Bayern München verzweifelt an Chelseas Doppel-Barriere.

The Sun : Didi hat's gemacht! Tödlicher Drogba lässt München verstummen. Blaues Spotlight an. Die Deutschen verlieren im Elfmeterschießen!

Daily Mirror: Milliardenfachen Dank! Abramowitsch erfüllt sich seinen Herzenswunsch.

Daily Telegraph: Chelseas Spieler sind die Könige Europas! Champions kümmert es nicht, wie sie gewinnen. Es musste Drogba sein! Denn nur die Diva mit dem Talent, Geschichte zu schreiben, konnte diesen Ball ins Netz der Bayern schießen und die Suche von Chelsea nach dem größten europäischen Vereinstitel beenden. Ein englischer Klub schlägt einen deutschen im Elfmeterschießen - notiert diesen Tag in euren Geschichtsbüchern.

ITALIEN:

Gazzetta dello Sport: Di Matteo und Drogba siegen, Bayern München trennt sich in Tränen von der Champions League. Wie vor einer Woche in Berlin, wie vor zwei Jahren in Madrid, tanzen die Gegner vor der Nase der Bayern-Spieler, die nur noch ihre Wut als Begleiterin haben. Dortmund siegt, die Champions-League-Trophäe zieht nach London. Für Bayern könnte es nicht schmerzhafter sein, die Champions League im eigenen Tempel zu verlieren. Der Teamgeist der Bayern ist stark, doch die Fehler der einzelnen verurteilen die Mannschaft zur Niederlage.

Corriere dello Sport: Der Favorit FC Bayern kapituliert einen Schritt vor dem Sieg. Vor zwei Jahren mussten die Deutschen vor Mourinhos Inter Mailand resignieren, diesmal vor Di Matteos Blues. Di Matteo ist für Chelsea der Coach des Neubeginns nach der verheerenden Ära von Villas-Boas. Mit dem italienischen Trainer auf der Bank erobert Chelsea die Spitze des europäischen Fußball-Olymps.

Tuttosport: FC Bayern, Hausherr in seiner wunderbaren Allianz Arena, erlebt ein sportliches Drama ohne gleichen. Drogba ist der ungnädige Henker der Deutschen. Mit seinem Tor erobert der Ivorer einen Platz in der Fußballgeschichte.

Repubblica: Chelsea, ein Wunder! Drogba bricht das Herz der Bayern. Die Di-Matteo-Boys erobern die Champions League. Das Heimfinale wird zum verwunschenen Spiel.

Corriere della Sera : Chelsea, Meister im Elfmeter, Drama für den FC Bayern. Die Bayern blicken auf die Trümmer des zweiten verlorenen Finalmatchs in drei Jahren. Der Klub ist von seinen Stars verraten worden.


SPANIEN:

El Mundo Deportivo: Drogba macht Abramowitsch zum Champion. Nach Millionen und Millionen von Abramowitsch holt eine Mannschaft, die sich ausschließlich aufs Verteidigen beschränkt, den ersten großen Titel Europas. Ein schlimmer Nachfolger für die Mannschaft von Pep Guardiola, wenn man sich an die Vorstellung von Barca in Wembley erinnert.

AS: Ein defensives, aber couragiertes Chelsea holt sich CL-Krone. Chelsea mit blauem Blut.

Marca: Drogba krönt Chelsea! Abramowitschs Traum wird nach 9 Jahren und 900 Millionen Euro Wirklichkeit - Chelsea gewinnt ersten CL-Titel defensiv und ohne Risiko.

Sport: Das Glück lächelt Chelsea entgegen. Das Schicksal hadert mit Bayern.


ÖSTERREICH:

Kronenzeitung: Bayern am Boden! Drama dahoam: Bayern Münchens großer Traum vom historischen Triumph im eigenen Stadion ist auf brutale Weise geplatzt. Trotz Riesenchancen im Überfluss unterlag der deutsche Rekordmeister dem destruktiven englischen Pokalsieger FC Chelsea am Samstagabend im Champions-League-Finale mit 3:4 im Elfmeterschießen. Der FC Bayern machte dabei wie 1999 gegen Manchester United die bittere Erfahrung, eine Führung kurz vor dem Ziel zu verspielen.

Kurier: Die Bayern im Tal der Tränen. Während in München die ganze Stadt Trauer trägt, spielt Chelsea den Sieger-Blues. Unsere Stadt, unser Stadion, unser Pokal. Der fromme Wunsch auf dem Transparent der Bayern-Fans wurde nicht erfüllt. Die Meisterschaft verloren, den Cup vergeigt, jetzt auch noch als bessere Mannschaft das Champions-League-Finale verloren.

Die Presse: "Koan Titel": Bayern verliert Champions-League-Finale!"

FCB erlebt "Alptraum dahoam"



München - Schon wieder durchs Spalier! Wie schon sieben Tage zuvor schlichen die Bayern wenige Minuten nach Abpfiff eines Endspiels mit hängenden Köpfen erneut zwischen tanzenden Siegern hindurch auf die Tribüne, um sich ihre Silbermedaillen abzuholen.


Anders als gegen Dortmund in Berlin hatten die Münchner beim dramatischen 4:5 n. E. gegen den FC Chelsea aber schon eine Hand am Pokal. Weil es diesmal allerdings um den größten Titel im europäischen Vereinsfußball ging und die Bayern sich den Traum vom historischen ersten Sieg im heimischen Stadion erfüllen wollten, hingen die Köpfe noch tiefer und die Enttäuschung war wesentlich größer.

"Das ist unglaublich"



"Wenn man in einem Spiel so viele Chancen hat, den Sack zuzumachen, dann muss man das auch tun. Deshalb haben wir dieses Spiel verloren", sagte Uli Hoeneß. Die Bayern waren über die gesamte Spielzeit drückend überlegen, hatten in der Verlängerung per Strafstoß die Entscheidung auf dem Fuß und waren auch im Elfmeterschießen im Vorteil.

"Dann schaffen wir es nicht - das ist unglaublich. Schwierig in Worte zu fassen. Wie ich das verdaue? Ich habe keine Ahnung. Das ganze Spiel war totaler Wahnsinn", so der Präsident, der mit einem erfolgreichen "Finale dahoam" sein Lebenswerk hatte krönen wollen.

"Wie ein schlechter Film"



"So ist Fußball. Das hat man in der Vergangenheit schon öfter gesehen, dass am Ende nicht immer der verdiente Sieger mit dem Pokal dasteht. Das ist schwer in Worte zu fassen", war auch Thomas Müller enttäuscht. Er hatte in der 83. Minute den erlösenden Führungstreffer erzielt und ganz München in ekstatischen Jubel versetzt.

Aber das Schicksal nahm seinen Lauf und gipfelte in einer der bittersten Pleiten in der Geschichte des FC Bayern. "Das ist ein absoluter Alptraum", formulierte Sportdirektor Christian Nerlinger: "Entsprechend ist die Stimmung in der Kabine. Das ist wie ein schlechter Film. Wir waren die klar bessere Mannschaft."

Robben, Olic und Schweinsteiger verballern



Nach Müller hätte in der 95. Minute Arjen Robben zum großen Helden werden können, verschoss aber aus elf Metern. Im entscheidenden Elfmeterschießen war Manuel Neuer zunächst die Hauptrolle vorbehalten. Der Keeper hielt den ersten Versuch der Londoner und verwandelte selbst zum zwischenzeitlichen 3:2 - wieder gingen die Finger Richtung Henkelpott.

Weil dann nach Ivica Olic auch Bastian Schweinsteiger scheiterte und Didier Drogba, der in der 88. Minute für Chelsea ausgeglichen hatte, traf, verpassten die Bayern den fünften Erfolg im wichtigsten Europacup.

"Alle Zeichen standen für uns. Wir haben drei Matchbälle gehabt und haben die nicht genutzt. Die Enttäuschung ist sehr groß", sagte Neuer.

"Einfach zu viele Chancen liegengelassen"



"Ich hatte mit der Mannschaft das große Ziel gehabt, den Titel zu gewinnen. Ich weiß aber auch, wie grausam Fußball sein kann und da hilft es nicht, zu lamentieren. Das ist bitter, wenn man heute als Zweiter vom Platz geht", sagte Jupp Heynckes in der Pressekonferenz relativ gefasst. Wie alle hatte auch der Trainer das große Manko an diesem Abend gesehen: "Wir haben einfach zu viele Chancen liegengelassen."

Selbst das Wissen um die Gründe einer solchen Niederlage lässt sie im ersten Moment natürlich nicht weniger brutal erscheinen. Mit ein bisschen Abstand müssen die Verantwortlichen nach der zweiten titellosen Saison in Folge sicherlich die richtigen Schlüsse ziehen. Für die vielen deutschen Nationalspieler bietet sich bei der anstehenden EM zumindest wieder eine neue Chance, endlich einmal selbst das Spalier zu bilden.

"Überragende Leistung nicht belohnt"



München - Der FC Bayern hatte die Finger schon an den Henkeln des Champions-League-Pokals. Es wäre ein hochverdienter fünfter Triumph der Münchner in der europäischen "Königsklasse" gewesen.


Doch zunächst beendete Didier Drogbas Kopfballtor zum 1:1 (88.) den kurzen Freudentaumel der Bayern-Anhänger, den Thomas Müllers Führungstreffer (83.) ausgelöst hatte. Nachdem Arjen Robben in der Verlängerung einen Strafstoß vergeben hatte (95.), avancierte Bastian Schweinsteiger im Elfmeterschießen zur tragischen Figur. Sein Pfostentreffer nach Ivica Olic' Fehlschuss ebnete dem FC Chelsea den Weg zum ersten Champions-League-Sieg der Vereinsgeschichte. Für Bayern-Trainer Jupp Heynckes waren jedoch andere Aspekte für das 4:5 n. E. ausschlaggebend.

Frage: Herr Heynckes, können Sie sich daran erinnern, jemals ein Spiel verloren zu haben, dass so klar von Ihrer Mannschaft bestimmt wurde?

Jupp Heynckes: Der Ausgang dieses Champions-League-Finals ist sicher eine bittere Niederlage für den FC Bayern, für meine Mannschaft, meine Spieler. Sie sind sehr enttäuscht. Schaut man auf den Statistikbogen, waren wir in allen Bereichen des Spiels besser. Aber wir dürfen nicht mit Ungerechtigkeiten hadern, das mag ich überhaupt nicht. Wir dürfen auch nicht Chelseas Spielstil für das Ergebnis verantwortlich machen. Wir hätten unsere Chancen verwerten und nach dem 1:0 unser Gehäuse sauber halten müssen, dann wären wir als Sieger vom Platz gegangen. So kann man nur Chelsea gratulieren.

Frage: Sie haben vor dem Spiel gesagt, dass Sie aufgrund der mentalen Stärke Ihrer Spieler keine Elfmeter trainiert haben. Bereuen Sie das nun nach dem Spiel?

Heynckes: Ich kann nach dem Spielverlauf des Finals ja nicht nur über die Elfmeter sprechen. Meine Mannschaft hat über weite Strecken ein überragendes Spiel gezeigt. Dass dann nach der Verlängerung das Elfmeterschießen ein Lotteriespiel ist, weiß man aus der Geschichte. Diesmal war Chelsea die glücklichere Mannschaft. Meine Glückwünsche gehen deshalb an den FC Chelsea. Die Mannschaft hat großartig gekämpft, defensiv gut gestanden und ist dann durch Elfmeterschießen glücklich Champions-League-Sieger geworden.

Frage: Sie haben in der Schlussphase der regulären Spielzeit beim Stand von 1:0 Ihren Torschützen Thomas Müller ausgewechselt. Was war der Grund dafür?

Heynckes: Thomas Müller hat in den letzten Wochen immer Wadenprobleme gehabt und hat signalisiert, dass er ausgewechselt werden möchte. Wenn ein Spieler muskuläre Probleme hat, muss ich als Trainer selbstverständlich reagieren.

Frage: Kann man das 1:1 aus Ihrer Sicht verteidigen, oder war Didier Drogba in dieser Situation einfach nicht aufzuhalten?

Heynckes: Wir haben es dieser Szene nicht verstanden, aufmerksam dagegenzuhalten. Das ist sehr schade. Denn meine Spieler haben sich total verausgabt, haben eine überragende Leistung geboten und sind dafür nicht belohnt worden.

Frage: Torwart Manuel Neuer hat im Elfmeterschießen selbst antreten müssen. Täuscht der Eindruck oder war es diesmal schwierig, fünf Schützen zusammen zu bekommen?

Heynckes: Auf beiden Seiten waren die Spieler zu diesem Zeitpunkt ja völlig erschöpft. Wir haben - ich weiß nicht, wie viele Minuten - nur auf ein Tor gespielt. Wenn man gegen so einen Abwehrwall spielt, dann muss man viel aktiver, mehr in Bewegung sein muss als der Gegner. Daher war es so, dass auch meine Spiele müde waren. Nach der Verlängerung waren sich einige Spieler nicht sicher, ob sie einen Elfmeter schießen wollen. Es ist legitim, dass mir ein Spieler signalisiert, wenn er sich nicht sicher fühlt. Dann habe ich eben andere Schützen nominiert, unter anderem auch Manuel Neuer.

Frage: Arjen Robben zählte nach dem verschossenen Elfmeter in der Verlängerung ebenfalls nicht zu den Strafstoßschützen bei der Entscheidung…

Heynckes: Es ist doch nachvollziehbar, dass er nicht mehr die nötige Sicherheit und das Selbstvertrauen hat, im Elfmeterschießen anzutreten, wenn er gerade erst in der Verlängerung einen Elfmeter nicht verwandelt hat. Das muss man verstehen.

Frage: Bastian Schweinsteiger wirkte nach seinem Elfmeterfehlschuss fast apathisch. Wie kann man ihn jetzt aufrichten?

Heynckes: Alle Spieler gemeinsam hatten ein großes Ziel: Das Champions-League-Endspiel zu gewinnen, und besonders hier in München. Dann musst du erst einmal damit fertig werden, dass ein so renommierter Nationalspieler wie Bastian Schweinsteiger verschießt. Aber Bastian hat uns in Madrid überhaupt erst ins Finale geschossen. Und er wird auch die Enttäuschung dieses Endspiels wegstecken. Das wird sicher einige Tage dauern, aber es gehört zum Fußballerleben dazu.

Frage: Der FC Bayern ist in der Meisterschaft Zweiter geworden und hat im DFB-Pokal und der Champions League jeweils das Finale verloren. Wie bewerten Sie die Spielzeit Ihrer Mannschaft?

Heynckes: Ich weiß, wie das bewertet wird. Es ist klar, wenn der FC Bayern auch in der zweiten Spielzeit hintereinander keinen Titel gewinnt, ist das keine gute Saison. Man muss allerdings sehen, dass wir in der Meisterschaft 73 Punkte geholt haben. Damit wären wir in den letzten zehn Jahren sechs Mal Meister geworden. Das Champions-League-Endspiel kann man aus zwei Perspektiven bewerten: Entweder man sieht, was abgelaufen ist. Oder man nimmt nur die Tatsache, dass man als zweiter Sieger vom Platz gegangen ist. Wir werden von allem etwas bekommen und müssen uns dann der Kritik stellen.

Chelsea lässt Bayerns Traum zerplatzen



München - "Drama dahoam": Für den FC Bayern München ist der große Traum vom historischen Triumph im eigenen Stadion auf äußerst brutale Weise geplatzt. Trotz Riesenchancen im Überfluss unterlag der Rekordmeister dem destruktiven englischen Pokalsieger FC Chelsea im Champions-League-Finale mit 3:4 im Elfmeterschießen. Nach 90 und 120 Minuten hatte es 1:1 gestanden.


Der FCB machte dabei wie 1999 gegen Manchester United die bittere Erfahrung, eine Führung kurz vor dem Ziel zu verspielen. Nach dem späten 1:0 durch einen Kopfball-Aufsetzer von Thomas Müller (83.) rettete sich das bis dahin unglaublich passive Chelsea dank eines Treffers von Didier Drogba (88.) in die Verlängerung und schließlich ins Elfmeterschießen, bei dem den Bayern-Profis Ivica Olic und Bastian Schweinsteiger die Nerven versagten.

Arjen Robben (95.) hatte zuvor einen Foulelfmeter verschossen - wie schon im entscheidenden Spiel bei Borussia Dortmund (0:1) um den Meistertitel. Die Bayern warten somit weiter auf ihren fünften Sieg im wichtigsten Europapokal. Die völlig frustrierten Münchner gaben zwar alles, stehen aber am Ende mit leeren Händen da - ihnen bleiben nach Platz 2 in der Meisterschaft und dem verlorenen Pokal-Finale nur drei "Vize"-Titel. Chelsea setzte sich erstmals die Krone des europäischen Clubfußballs auf.

Bayern ergreift die Initiative



Beide Mannschaften legten zunächst ein geradezu wahnwitzig anmutendes Tempo vor. Auch die Londoner, wie erwartet defensiv eingestellt, rannten blitzschnell nach vorne, wenn sich die Gelegenheit ergab, was aber selten vorkam: Zumeist spielte sich das Geschehen in der Spielhälfte der Gäste ab. Die Bayern, so viel wurde schnell offensichtlich, waren auf ein schnelles Tor aus. Und sie ließen den Ball entsprechend zügig laufen. Die Angriffe liefen dabei zunächst über den gut aufgelegten Toni Kroos.

Kroos gab den Spielgestalter an der Seite von Bastian Schweinsteiger - das war zu erwarten, da Holger Badstuber, David Alaba und Luiz Gustavo für das Endspiel gesperrt fehlten. Wie erwartet hatte Jupp Heynckes für die Gesperrten Anatoliy Tymoshchuk, Diego Contento und Müller aufgeboten. Chelsea musste auf vier Spieler wegen Sperren verzichten, darunter Kapitän John Terry. Teammanager Roberto Di Matteo wählte als eine der Alternativen überraschend den 22 Jahren alten Ryan Bertrand aus.

Cech treibt die Münchner zur Verzweiflung



Defensivspezialist Bertrand sollte auf den linken Seite den Vorwärtsdrang von Philipp Lahm und Robben stoppen. Die Bayern erwiderten dessen Einsatz auf ihre Art: Robben wich oft in die Mitte aus, überließ Müller die rechte Seite. Ein gelungener Schachzug: Nach einer Viertelstunde gerieten die Engländer trotz humorloser Verbarrikadierung des eigenen Tores zunehmend unter Druck, es kam dennoch zu tumultartigen Szenen im Strafraum - dabei lenkte Torhüter Petr Cech einen Schuss von Robben grandios ans Lattenkreuz (21.).

Der FCB dominierte und drängte, die "Blues" mauerten und konterten. Den ersten Schuss aufs Münchner Tor gaben die Engländer erst in der 34. Minute ab - durch einen Freistoß von Juan Mata. Im Gegenzug hatte Müller nach Flanke des soliden Contento die Führung auf dem Fuß - daneben (35). Kurz darauf war Manuel Neuer bei einem Schuss von Salomon Kalou (37.) zur Stelle, dann waren die besten drei Minuten von Chelsea schon vorbei - und Gomez verpasste aus guter Position die Führung: Rücklage, der Ball flog über das Tor (42.).

Ribery im Pech



Ehe es losging, hatten die Münchner Anhänger, die passenderweise an ihren angestammten Plätzen in der Südkurve platziert waren, nochmals klargemacht, worum es ging: "Unsere Stadt, unser Stadion - UNSER POKAL", stand auf großen Spruchbändern, die Teil einer eindrucksvollen Choreographie waren.

Zu Beginn der zweiten Halbzeit schrie der Münchner Anhang erstmals lauthals einen Torjubel heraus - der Treffer von Ribery wurde aber von Schiedsrichter Pedro Proenca aus Portugal, der Bastian Schweinsteiger schon nach 108 Sekunden wegen eines Handspiels die Gelbe Karte gezeigt hatte, berechtigterweise nicht anerkannt.

Drogba schlägt zu



Die Münchner Abwehr blieb über weite Strecken beschäftigungslos, zog sich aber im Ernstfall erstaunlich gut aus der Affäre. Während hinten Tymoshchuk zunächst spielte, als sei er bereits sein Leben lang Innenverteidiger gewesen, zeigte Contento eine beherzte, solide Leistung. Jerome Boateng, im Pokalfinale ein Sicherheitsrisiko, leistete sich ein paar überflüssige Fouls, stand aber ansonsten gut. Drogba, der gefürchtete bullige Angreifer von Chelsea, hatte lange mehr Szenen im eigenen als im Münchner Strafraum.

Chelsea hatte jede Hilfe nötig. Der viermalige englische Meister, 2008 im Endspiel der Champions League in Moskau an Manchester United gescheitert (5:6 i.E.), stand unter Druck, brachte aber immer wieder einen Fuß, ein Körperteil dazwischen, bis die Münchner endlich den längst überfälligen Führungstreffer erzielten. Nur äußerst sporadisch erreichten die "Blues" den Strafraum der Bayern - aber dann, nur zwei Minuten vor Schluss, reichte Drogbas Extraklasse für den Ausgleich. Das Drama nahm seinen Lauf.


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